Upps.

EINS-02


– And then they lived happily ever after?

(Rosaleen & Granny | The Company of Wolves)


Ich habe mit 18 Jahren geheiratet, einen Mann, den ich zu diesem Zeitpunkt gerade mal 2 Monate kannte. Der mich aber so umgehauen hatte, wie keiner zuvor. Wir haben danach mindestens drei Viertel unserer 26 Ehejahre 24 Stunden täglich zusammen verbracht. Miteinander geschlafen, gearbeitet, gekocht, gelacht und eher selten auch geweint. Wenn mal nur einer von uns auftauchte, kamen gleich besorgte Rückfragen, wo denn der andere wäre? Doch hoffentlich nicht krank? Eine Freundin sagte mir mal „Wenn ihr euch jemals trennt, verliere ich den Glauben an die wahre Liebe.“ Noch ist es ja nicht soweit, aber trotzdem schonmal sorry, Anna.

Tja … und da stehe ich jetzt in meiner Küche, die wir uns zum 25. Hochzeitstag geschenkt hatten, und frage mich, was ich anfangen soll mit einer plötzlich „offenen Ehe“. Ich bin nicht mal wirklich wütend auf ihn. Seltsamerweise auch nicht eifersüchtig. Aber will ich denn überhaupt einen Lover? Tinder wurde quasi gerade erst erfunden und dafür fühle ich mich echt zu alt. Für „Alle X Minuten verliebt sich ein Single auf …“ finde ich mich allerdings noch nicht alt genug und „ein Single“ bin ich ja genau genommen auch gar nicht. Aber wer bin ich eigentlich? Gibt es überhaupt noch ein „ich“? Es ist so lange schon ein „wir“, dass ich mich irgendwo auf dem Weg wohl ein bisschen verloren habe.

Na, na, na … (na toll, jetzt meldet sich hier auch noch mein Gewissen, oder was?) Jetzt trägst Du aber schon ein bisschen sehr dick auf, oder? Erzähl doch einfach alles genau so wie es war.

Also gut – ich will ja nicht schummeln – wenn ich ehrlich bin, hatte ich mich gerade zu diesem Zeitpunkt bereits ein Stück weit wiedergefunden. Denn ab dem Moment, an dem mir klar geworden war, dass das Hauptinteresse meines Ehemanns ganz offensichtlich jemand anderem galt, passierte etwas. Ich sprang gedanklich in einer Zeitmaschine an die Stelle zurück, bevor aus dem „ich“ ein „wir“ wurde. Während mein party-all-weekend-long-Leben ab 14 sicher etwas aufregender war, als das mancher Klassenkamerad:innen, war mein Liebesleben quasi nicht existent. Meine absolute Superpower als Teenager bestand nämlich darin, mich immer in komplett unerreichbare Superstars und/oder schwule Typen zu verkucken. Die vielen Trips nach Berlin, Mitte der 80er, waren dabei leider auch null hilfreich, denn dort waren – wie ich schnell feststellte – die interessanten Männer garantiert alle schwul. Mein gaydar funktionierte ausgezeichnet. Die, die es so im Angebot gegeben hätte? Nein, danke. Aber, wenn ich ganz ehrlich zu mir bin – ich war damals auch nie wirklich unglücklich – warum eigentlich nicht? Auf einmal war es mir klar: ich war immer verliebt ins Verliebtsein. Es reichte mir völlig, die Schmetterlinge im Bauch zu fühlen und vor mich hin zu träumen. Für alles andere hatte ich zwei gesunde Hände. Ich brauchte also dringend erstmal sowas. Mich in jemanden verkucken, ohne Angst haben zu müssen, dass da einer Ansprüche stellen oder real auf der Matte stehen könnte. Denn das wäre viel zu kompliziert in meinem wirklichen Leben. Mit einer gemeinsamen Firma, einem gemeinsamen Haus und vielen vielen gemeinsamen Schulden. Ich wollte einfach nur mich selbst wieder spüren. Happy sein. In einer rosaroten Traumwelt.

Es ist ja so – man weiß nie, wann einen die Muse küsst, nur, dass man dann nicht lange fackeln darf. Und so war es gekommen, dass ich tatsächlich, kurz vor diesem denkwürdigen Vormittag, mitten in einer bunten Gemeinde von hardcore-fangirls eines englischsprachigen Schauspielers (der hier nicht genannt werden soll) landete. Einfach nur, weil ich seine Stimme so toll fand. Auf social media war ich zu dem Zeitpunkt schon seit über 5 Jahren aktiv, in Foren hatte ich mich bereits über 15 Jahre früher, noch zu Zeiten von Modems, herumgetrieben. Er war ganz frisch dabei, gerade einem bekannten social network beigetreten und die Fangemeinde drehte komplett durch, verfolgte jeden seiner twee… äh posts, interpretierte wildeste Dinge in jedes Wort und es war alles wunderbar ablenkend und inspirierend. Schnell fand ich mich im Lager derjenigen wieder, die den ganzen virtuellen Wahnsinn mit ein wenig Augenzwinkern betrachteten. Einer der Vorteile, wenn man keine 18 mehr ist, nehme ich an, aber dennoch blieb ich von der ansteckenden Obsessivität der anderen Fangirls nicht völlig verschont. Ich war in einem Künstlerhaushalt groß geworden und zu meinem Entzücken erwachten mit jedem Schritt tiefer hinein in diesen Fan-Dschungel meine graphischen und schriftstellerischen Talente aus ihrem Dornröschenschlaf. Ich erschuf Memes, Kurzfilme und fand sogar eine noch nicht besetzte Nische, in der ich öffentlich über die astrologischen Gründe für diese obsessive Bewunderung sinnierte. Ich fühlte mich genial und eloquent bis zum Platzen – da ich nie gekokst habe, habe ich keinen Vergleich, aber ich vermute, so in etwa war mein Zustand. Auszuhalten nur von anderen Fans, die ähnlich berauscht waren. Meine Mutter (von ihr stammt die Affinität zur Astrologie) meinte mal über meinen Vater (den Künstler), sie wäre froh, dass er eigentlich nie Geld dafür hätte, denn er wäre in dem Zustand vollkommen unerträglich. Wie auch immer, mir ging es großartig mit meinem natürlich erzeugten „high“. Nach einem Gastbeitrag auf einem stark frequentierten Fanblog, startete ich schnell einen eigenen und hatte plötzlich ein ziemlich großes Publikum. Wow. Das war natürlich ein weiterer Booster fürs Ego und Selbstbewusstsein. Wer braucht da noch einen Liebhaber?

Parallel dazu war ich auch auf dem social network mit dem „f“ richtig aktiv geworden und einigen Gruppen beigetreten. Auf eine sehr nette Literaturgruppe war ich durch eine Bekannte, deren Newsletter ich seit über 10 Jahren abonniert hatte, gestoßen und in dieser Gruppe äußerte ich irgendwann die denkwürdige Frage, ob es denn nicht sowas auch für Filmfreaks geben würde? Denn ich war einer und hatte zu dem Zeitpunkt gerade begonnen, viele viele verpasste Filme nachzuholen. Dem Mann, der früher genauso begeistert war wie ich, war nämlich die Lust aufs ins Kino gehen, im etwa gleichen Maß vergangen, wie die auf mich. Bei mir war sie nun aber gerade mit Macht zurück und ich wollte mich da gerne zur Abwechslung mal wieder mit „Erwachsenen“ anstelle von Fan-Girlies mit Tunnelblick austauschen. Und tatsächlich, ich erhielt prompt eine Antwort. „Wenn Du Tim Burton nicht für einen englischen Schneider, Tarantino nicht für ein Nudelgericht und die Coen Brüder nicht für Wild West Outlaws hältst, dann könntest Du – natürlich unter Vorbehalt und ordentliches Benehmen vorausgesetzt – meiner Gruppe beitreten. Zur Probe.“

Genial. Genau mein Geschmack, auf sowas hatte ich gehofft. Ich fühlte mich augenblicklich zu Hause. Um einen guten ersten Eindruck zu machen, beschloß ich – der Oktober war nur noch wenige Tage entfernt – einen Halloween-Countdown in der Gruppe durchzuziehen. Tag für Tag einen meiner 31 liebsten Horrorfilme vorzustellen und so gleichzeitig unterschwellig ein bisschen mit meinem Filmwissen anzugeben, war, was mir so vorschwebte. Ich hatte ja durch mein fangirlen zwischenzeitlich einen großen Schluck aus dem Kelch der sozialen Anerkennung genommen und das Gefühl wollte ich gerne beibehalten. Der Countdown kam in der Gruppe gut an und jeden Tag entstanden kleine Diskussionen – mein Plan ging perfekt auf. Am 22. Oktober stellte ich Neil Jordans wunderbaren Film aus den 80ern „Die Zeit der Wölfe“ vor, mit dem Charles Perrault Gedicht „Rotkäppchen“ vom Schluß des Films als Einleitung:

Und die Moral von der Geschicht‘:
Mädchen, weich vom Wege nicht!
Bleib allein und halt nicht an;
Traue keinem fremden Mann!
Geh‘ nie bis zum bitt’ren Ende;
Gib Dich nicht in fremde Hände!
Deine Schönheit zieht sie an,
Und ein Wolf ist jeder Mann!
Merk Dir eines: In der Nacht
Ist schon mancher Wolf erwacht.
Weine um sie keine Träne!
Wölfe haben scharfe Zähne!

Daneben äußerte ich noch meine Vermutung, dass der Film als Inspiration für das Jahre später entstandene Musikvideo zum Rammstein Song „Du riechst so gut“ gedient hatte. Ja und damit zog ich dann zum ersten Mal „ihn“ an. Er postete einen Kommentar mit einem englischen wikipedia Artikel, der meine Vermutung bestätigte.
Es entspann sich daraufhin ein kleines hin und her:

Leeloo (ich): Interessant, in der deutschen wikipedia fehlte der entscheidende Satz!

Gekko (er): Mag sein, die ist für mich in Musik- oder Filmsachen keine kompetente Instanz, da schau ich gar nicht erst nach.

Leeloo: Zu Recht, wie es scheint 😉

Gekko: 🙂

Der Capo (admin): Mir scheint, hier bilden sich merkwürdige Allianzen … ^^

Leeloo: wolves may lurk in every guise …

Gekko: Gegen Rammstein kommst du nicht an.

Der Capo: Ihr dürft im Gruppen-Pausenraum nicht mehr nebeneinander sitzen!

Gekko: Auch nicht, wenn wir versprechen, nur noch ganz leise hinter deinem Rücken über dich zu tuscheln?

Der Capo: HERR Gekko!

Und *ZACK* damit war mein Interesse an Herrn Gekko geweckt. Ja, manchmal ist es so einfach. In den folgenden Monaten entstanden immer häufiger solche Situationen. Dem Halloween Countdown folgte ein 14-tägiger Valentinstags-Countdown mit einer Auswahl sehr spezieller „romantischer“ Filme. True Romance zum Beispiel, oder Natural Born Killers. Der gruppeninterne Austausch über Filme erstreckte sich bald auch über Musikgeschmack, wurde zunehmend schlagfertiger und frecher. Gekko war – wie ich schnell feststellte – ebenfalls Mitglied der Literaturgruppe und auch dort wandelte sich unser Austausch zu diversen Themen immer mehr zu etwas, das ich als ziemlich unverhohlenes Flirten bezeichnen würde. Ein wortgewandtes Gegenüber war genau das richtige für mein sapiosexuelles Gemüt, ich genoß unsere kleinen Diskussionen in den beiden Gruppen total.

An einem Nachmittag im September – fast auf den Tag genau ein Jahr, nachdem mir mein (immernoch) Ehemann geraten hatte, mich nach einem Lover umzusehen – postete Gekko mit den Worten „Soundtrackquiz. Fast schon zu einfach.“ ein Musikvideo: „Woo Hoo“ von „The 5.6.7.8’s“ . Mist, dachte ich mir, jetzt hat er mich. Vermutlich irgendein Tarantino. Aber welcher? Ich hatte nicht alle gesehen und meine Filmfreak-Ehre verbot es mir, danach zu googeln. Als Zeichen meines Unwissens schrieb ich schließlich schlicht: „Upps.“ Eine Minute später machte mein Messenger *PING*

Und hier fängt die Geschichte an.


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